Depressionen Symptome bei Frauen

Depressive Störungen zählen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen, die Lebenszeiterwartung liegt bei 17 %. Darüber hinaus zeigen epidemiologische Studien, dass Frauen bis zu zweimal häufiger als Männer an depressiven Störungen erkranken, während das Risiko des Wiederauftretens einer Depression für Männer und Frauen jedoch ähnlich ist. Immerhin muß eine von 10 Frauen mit dem Auftreten einer ernsthaften Depression im Laufe ihres Lebens rechnen. Die Regelmäßigkeit dieses Resultates steht in scharfem Kontrast zur Tatsache, dass bis heute keine eindeutige Erklärung für diesen „gender gap“ gefunden wurde. Weissman und Klerman (1977) haben festgestellt, dass dieser Geschlechtsunterschied real ist und nicht nur auf Artefakte wie Unterschiede im Hilfesuchverhalten, einer erhöhten Neigung von Frauen, über depressive Symptome zu berichten, oder auf diagnostische Bias zurückzuführen ist.
Die höheren weiblichen Depressionsraten entstehen im frühen Erwachsenenalter, erreichen einen Gipfel im mittleren Lebensalter und sinken in der postmenopausalen Phase wieder ab. In der Kindheit und im späteren Lebensalter werden kaum Geschlechtsunterschiede – und wenn, dann oft sogar mit einem höheren Risiko für Männer – gefunden.

Biologische Faktoren

Das Auftreten des Geschlechtsunterschiedes in den Depressionsraten mit dem Beginn der reproduktiven Phase hat zu der Annahme geführt, dass endokrinologische Faktoren zu einer größeren Vulnerabilität bei Frauen beitragen könnten. Prämenstruelle und post-Partum Periode sowie die Menopause sind durch einen zum Teil kurzfristigen und steilen Abfall von Östrogen und Progesteron charakterisiert. Wiederkehrender Östrogenmangel könnte mit den Funktionen des Östrogens, die Effekte von Glukocorticoiden zu neutralisieren, interferieren. Die Geschlechtshormone scheinen Neurotransmitter und das neuroendokrine und neuromodulatorische System im Zentralnervensystem zu beeinflussen. Es gibt Hinweise, dass Östradiol und Progesteron die Synthese, den Metabolismus und die Ausschüttung von Serotonin, Norepinephrin und Dopamin beeinflussen. Die Gabe von Östrogen und Progesteron scheint zu einer Steigerung der Serotoninaufnahme zu führen. Ebenso wird durch den Entzug von Östrogen bzw. Progesteron die Bildung von Monoaminoxydase gesteigert. Dies führt zu erhöhtem Abbau von Norepinephrin. Der dadurch entstehende Mangel an Norepinephrin wird mit der Entstehung von Depressionen in Verbindung gebracht. Dass Östrogene mit psychischem Wohlbefinden in Verbindung zu stehen scheinen, ist kein ausreichender Beweis für die mögliche Rolle bei der Entstehung von Depressionen. Im Unterschied zu einer aktuellen Metaanalyse, in der sich die Östrogentherapie gegenüber einer Behandlung mit Placebo als geringfügig überlegen erwies, werden in anderen Untersuchungen keine Hinweise auf die ätiologische Bedeutung von Östrogenen für Depressionen gefunden.

Prämenstruelles Syndrom (PMS)

In einer der wenigen gut kontrollierten Studien berichteten nur etwa 3,1% der untersuchten Frauen über ein PMS entsprechend den DSM-III-R Kriterien (Rivera-Tovar und Frank 1990), während in anderen Studien Prävalenzraten von immerhin 20-80% gefunden wurden. Diese große Breite der Prävalenzraten von prämenstruellen depressiven Symptomen liegt größtenteils an methodischen Schwächen in der Erhebung der depressiven Symptomatik: Für den in Untersuchungen am häufigsten verwendeten Fragebogen (Moss Menstrual Distress Questionnaire) liegen keine Daten zur Validität und Reliabilität vor; darüber hinaus erfolgt die Erhebung retrospektiv und mittels Self-Ratings. Die meisten Frauen, die prämenstruell über Depressionen berichten, zeigen diese auch in anderen Zyklusphasen.

Der Mechanismus, wie durch die Schwankungen der Geschlechtshormone schwere Stimmungsveränderungen entstehen können, ist bis jetzt nicht geklärt. Forscher meinen, dass bei einigen Frauen die zyklischen Veränderungen als „Kindling-Faktor“ fungieren und so eine spezifische Vulnerabilität für Depressionen getriggert wird. Andere meinen, dass bisher nicht untersuchte Metaboliten der Stereoidhormone während der späten Lutealphase einen Einfluß haben könnten. Geschlechtshormone beeinflussen möglicherweise Neurotransmitter auf verschiedene Weise: sie könnten die Sensivität an den Synapsen und so die Balance zwischen den Systemen verändern. Darüber hinaus könnten die biologischen Veränderungen der späten Lutealephase zu Veränderungen des Circadianrhythmus führen.

Wenn jedoch die hormonellen Veränderungen des Menstruationszyklus tatsächlich ein bedeutender Vulnerabilitätsfaktor für Depressionen wären, würde man erwarten, dass Frauen ein höheres Risiko als Männer für das Wiederauftreten einer klinischen Depression aufweisen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Darüber hinaus fällt der Östrogenspiegel auch unmittelbar nach der mittleren Zyklusphase stark ab; dieser Abfall ist jedoch nicht von depressiven Symptomen begleitet.

Postpartum-Periode

Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen im Wochenbett depressive Symptome („Baby Blues“) zeigen, ist relativ hoch (30 – 70 %). Doch in der Mehrzahl remittieren diese Beschwerden innerhalb eines Tages völlig. Klinisch relevante postpartale Depressionen sind so selten, dass damit nicht die doppelt so hohen Depressionsraten bei Frauen erklärt werden können: Nur 0,1% bis 0,2% aller Frauen entwickeln innerhalb von vier Wochen nach der Geburt eine klinische Depression. Viele dieser Frauen waren bereits früher und während der Schwangerschaft depressiv, sodass es sich dann nicht um das Neuauftreten einer Depression handelt, das unmittelbar mit Hormonschwankungen nach der Geburt erklärt werden kann. Auch wenn die Hormonschwankungen im Wochenbett physiologischerweise dramatisch sind, gibt es bis jetzt kaum Hinweise auf eine direkte kausale Beziehung zu Stimmungsveränderungen. Jedenfalls hat sich die Behandlung postpartaler Depressionen mit Östrogenen und Progesteron als unwirksam erwiesen. Mehrere andere Faktoren, wie konstitutionelle Prädispositon, positive Familienanamnese, psychosoziale und intrapsychische Belastungen scheinen einen bedeutenden Einfluß auf die Entwicklung einer post-Partum Depression zu haben. In einer der wenigen Untersuchungen, in der auch die Väter nach der Geburt eines Kindes nachuntersucht wurden, fand sich sogar ein im Vergleich zu den Müttern höherer Anstieg von Depressionen 2 Monate nach der Geburt. Geringere soziale und emotionale Unterstützung von seiten der Frau könnten dabei eine Rolle spielen.

Menopause

Die Menopause ist kein umschriebenes Ereignis, sondern ein komplexer Prozeß, der durch biologische, psychologische , soziale und kulturelle Variablen beeinflußt wird. Die Menopause bedeutet nicht einfach nur das Ende der reproduktiven Jahre, sie ist auch mit Vorstellungen über Geschlechtsrollen ganz allgemein und über Frauen im mittleren Lebensalter im besonderen verbunden. Ältere Studien beschrieben die Menopause als Hormonmangelkrankheit und hielten sie unbehandelt für ein ernsthaftes Risiko für die Gesundheit von Frauen. Bereits 1776 wurden erste Beschreibungen von Störungen des Klimakteriums, darunter auch affektive Störungen, publiziert. Kraepelin hat 1896 diese Störung als Involutionsmelancholie bezeichnet. Diese Form der speziellen Depression wurde immerhin noch im DSM-II als diagnostische Einheit geführt und erst im DSM-III (1980) aufgrund mangelnder empirischer Grundlagen aufgegeben. Mit der Menopause in Verbindung gebrachte Symptome beinhalten Schlafstörungen, Müdigkeit, Irritierbarkeit, Stimmungsschwankungen, Nachtschweiß und Hitzewallungen.

Neuere Untersuchungen zeigen, dass Depressionen während und nach der Menopause sogar seltener auftreten. Ebensowenig finden sich erhöhte Selbstmordraten oder Aufnahmeraten in diesem Lebensabschnitt. Bisher vorliegende Resultate zeigen, dass Behandlung mit Hormonen zwar die physischen, nicht aber die depressiven Symptome reduziert. Insgesamt gibt es keine Hinweise für die Existenz eines spezifischen Menopausesyndroms; viele Symptome, die mit der Menopause in Zusammenhang gebracht werden, sind Teil des physiologischen Alterungsprozesses und nicht Ausdruck einer depressiven Störung.

 

Genetik

Das Überwiegen einer Störung bei einem Geschlecht ist auch ein genetisch interessantes Phänomen. Eine mögliche Erklärung ist die X-Linkage, d.h. die Lokalisation des relevanten Genlocus an das X-Chromosom. Eine andere Erklärung wäre eine unterschiedliche Interaktion zwischen Genotypen und Umwelt.
Einige Forscher haben argumentiert, dass eine ernsthafte affektive Erkrankung das Resultat eines mutierten Gens am X-Chromosom sein könnte. Wenn also eine Störung an ein X-Chromosom gebunden ist, werden unterschiedliche Geschlechtsinzidenzen gefunden. X-gebundene dominante Störungen müßten öfter bei Frauen vorkommen. Es gibt einige Hinweise, dass eine X-Linkage mit bipolaren Störungen in Zusammenhang steht. In letzter Zeit wurde argumentiert, dass die meisten psychiatrischen Störungen nicht auf eine schwerwiegende chromosomale Abberation zurückzuführen sind. Die Störungen könnten eher das Resultat einer Aggregation geringfügiger genetischer Abweichungen sein, die mit Umweltfaktoren interagieren und so eine Person für bestimmte Störungen vulnerabel machen.

Psychosoziale Faktoren

Wenn die höheren Depressionsraten bei Frauen ausschließlich auf eine generell erhöhte biologische Vulnerabilität zurückzuführen wären, dürften die Geschlechtsunterschiede nicht von soziodemographischen Daten beeinflußt werden.

Zivilstand

Gove hat hingegen bereits 1972 in einer Metaanalyse darauf hingewiesen, dass verheiratete Frauen höhere Raten von psychischen Erkrankungen aufweisen als Ehemänner, während in der Gruppe der ledigen, geschiedenen und verwitweten Personen kein Geschlechtsunterschied gefunden wurde. Die Ehe scheint daher für Männer einen besseren Schutz vor depressiven Störungen zu bieten als für Frauen. Die Ehe scheint auch für jene Frauen, die berufstätig und kinderlos sind, nur ein geringes Risiko für Depressionen darzustellen. Dies scheint jedoch auch von anderen Faktoren wie Qualität der Partnerschaft, Sozialstatus und Verfügbarkeit von sozialer Unterstützung außerhalb der Familie abzuhängen. Ein besonders hohes Risiko weisen junge verheiratete Frauen, die für Vorschulkinder sorgen müssen, auf. Die Auswirkung des Ehestandes auf die Depressionsraten differiert jedoch in verschiedenen Kulturen. Verheiratete Frauen haben ein geringeres Risiko in mediterranen Ländern und in ländlichen Gebieten, wo auch heute noch der Hausfrau- und Mutterrolle ein größerer sozialer Wert zukommt.

Berufstätigkeit

Die Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit, Armut und psychischen Störungen ist eines der am besten abgesicherten Resultate der epidemiologischen Forschung. Zahlreiche Studien bestätigen, dass hohe Depressionsraten besonders bei Personen mit ökonomischen Problemen gefunden werden. Arbeit selbst fördert zwar Streß und Belastung, ihr Fehlen hat aber beträchtliche Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. Berufstätigkeit fördert Unabhängigkeit, Zufriedenheit, Sozialkontakte und Sozialstatus und garantiert Arbeitsbedingungen, die strukturiert sind und kontrolliert werden können. Generell senkt Berufstätigkeit sowohl bei Männern als auch bei Frauen in allen Zivilstandkategorien die Depressionsraten. Die Verfügbarkeit einer befriedigenden Berufstätigkeit sowie entsprechende Entlohnung und soziale Anerkennung sind jedoch bei Männern und Frauen verschieden. Darüber hinaus sind die Vorteile der Berufstätigkeit besonders bei verheirateten Frauen dann deutlich geringer, wenn sie gleichzeitig für Vorschulkinder zu sorgen haben. Rollenkonflikte und Doppelbelastungen scheinen dafür verantwortlich zu sein. In einer von Prof. Gutiérrez-Lobos durchgeführten Untersuchung wurden in der Gruppe geschiedener und berufstätiger Personen zwar hohe Depressionsraten, aber keine Geschlechtsunterschiede gefunden. Das bestätigt Ergebnisse früherer Untersuchungen, in denen keine Unterschiede in bestimmten Berufsgruppen, wie Studenten und Angestellten, gefunden wurden. Dies spricht dafür, dass sich unter ähnlichen Lebensbedingungen die Geschlechterrollen annähern und damit Geschlechtsunterschiede in den Erkrankungsraten verschwinden.

Zusammenfassung

Warum beginnen so viele psychische Störungen nach der Pubertät, und warum beginnt ab der Pubertät der statistisch signifikante Unterschied zwischen Männern und Frauen in den Depressionsraten? Wir meinen, dass die zwar verlockende, aber bis heute ebenso wenig bestätigte Hypothese, dass vor allem die weiblichen Geschlechtshormone zu Geschlechtsunterschieden beitragen, Unklarheiten in sich birgt. Wenn Depressionen ausschließlich mit jenen Phasen im Leben von Frauen assoziiert wären, in denen ein besonderer Hormonstatus gefunden wird, so könnten Hormone tatsächlich für den Unterschied verantwortlich sein. Wir haben zuvor schon aufgezeigt, dass gerade die Postpartum-Periode, die von extremen Hormonschwankungen begleitet ist, nur zu einem äußerst geringen Teil zu Depressionsraten beiträgt. Darüber hinaus hat es wenig Erklärungswert, den Unterschied zwischen den Geschlechtern mit den Eigenschaften nur eines Geschlechtes zu belegen. Die Hormonhypothese kann im übrigen gerade zu jenen Stereotypen führen, die die psychosozialen Ursachen für weibliche Depressionen verstärken.

Parker wies 1979 darauf hin, dass ein großer Teil der depressiven Störungen auf die unterschiedlichen männlichen und weiblichen Geschlechterrollen und den daraus resultierenden Folgen während des Erwachsenenlebens zurückzuführen sind. Wahrscheinlich haben auch geschlechtsspezifische Reaktionen auf bestimmte Ereignisse einen Einfluß auf die Art der Störung, die entsteht. Männer weisen höhere Erkrankungsraten für antisoziale und impulsive Persönlichkeitsstörungen, Alkoholmißbrauch und Schizophrenie auf. Auch Selbstmord als Resultat einer Depression kommt öfter bei Männern vor. Das läßt vermuten, dass Störungen, die sich eher im Verhalten als in der verbalen Kommunikation äußern, häufiger bei Männern auftreten .
Nolen-Hoeksema et al (1986) haben den Umgang von Kindern mit Depressionen analysiert: Depressive Buben gaben an, mit schlechtem Verhalten (Raufen, Unfolgsamkeit) zu reagieren, während Mädchen Gefühle des negativen Selbstwertes und der Einsamkeit beschrieben. Nun entspricht aktives Verhalten dem männlichen, passives Verhalten dem weiblichen Rollenstereotyp. Eltern scheinen sehr früh aktives Verhalten bei Buben zu verstärken und zu fördern. Auch wenn Mädchen für passives Verhalten nicht direkt belohnt werden, so werden sie offensichtlich weniger als Buben zu einem aktiven Stil ermuntert. Auch dieser passive Bewältigungsstil scheint die weibliche Vulnerabilität für Depressionen zu erhöhen.

Man weiß heute auch, dass viele jener Ursachen, die durch den Geschlechtsunterschied bedingt werden, überhaupt als Auslöser für Depressionen – bei Männern und Frauen – fungieren (Arbeitslosigkeit, Armut, mangelnde soziale Unterstützung, körperliche Erkrankung). Nur atypische Formen der Depression scheinen signifikant mit endokrinologischen und zyklischen Veränderungen in Beziehung zu stehen und auch dann nicht in einem Ausmaß, das die doppelt so hohen Depressionsraten bei Frauen erklären könnte. Zusammenfassend ist darauf hinzuweisen, dass derzeit keine Daten vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die höheren weiblichen Depressionsraten eindeutig auf endokrinologische oder genetische Faktoren zurückzuführen sind. Soziale und psychosoziale Faktoren hingegen weisen eine starke Beziehung zu depressiven Symptomen auf. Das betont einerseits die Notwendigkeit der Erhebung dieser Parameter für Prävention und Therapieplanung gerade bei Frauen und andererseits die Forderung, mehr als bisher sowohl psychosoziale als auch biologische Aspekte gleichzeitig in Untersuchungen mit einzubeziehen.

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